Rezension | „Schnelles Denken, langsames Denken” von Daniel Kahneman
- Franziska
- August 2021
- 11 Min
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Du solltest das Buch lesen, wenn du wissen willst,
- wie wir Entscheidungen treffen;
- welchen mentalen Mustern wir folgen;
- und wie wir uns gegen Fehlentscheidungen wappnen.
Wie treffen wir Entscheidungen?
Um zu verstehen, wie wir unsere Entscheidungen treffen, unterscheidet Kahneman grundsätzlich in zwei kognitive Systeme. Er meint damit nicht bestimmte Areale im Gehirn, sondern „Techniken“ für mentale Prozesse:
System 1 | System 2 |
Trifft Entscheidungen automatisch und fix, weitgehend mühelos und unbewusst. System 1 bricht die komplexe Wirklichkeit, die uns umgibt, auf wesentliche Punkte herunter. | Übernimmt die anstrengenden mentalen Aktivitäten und arbeitet dabei langsamer, aufwendiger und auch mühsamer. Dabei vermittelt es häufig subjektive Gefühle wie Handlungsmacht, Entscheidungsfreiheit und Konzentration. |
Unter Einfluss von System 1: Häufige Urteils- und Entscheidungsfehler
WYSIATI – What you see is all there is
Entscheidungen, die auf Basis von System 1 getroffen werden, ignorieren die Qualität und Quantität der Informationen, aus denen unsere Eindrücke und Intuitionen hervorgehen. Wir nutzen die beschränkten Informationen so, als wären sie alles, was wir über ein Thema wissen.
So konstruieren wir aus den verfügbaren Informationen die bestmögliche Geschichte. Die Folgen sind voreilige Schlussfolgerungen, z.B. aufgrund von
- Selbstüberschätzung: Wir berücksichtigen nicht, dass Informationen fehlen, die für unsere Entscheidungsfindung wichtig sind. Zweifel und Mehrdeutigkeiten werden unterdrückt.
- Framing-Effekte: Die unterschiedliche Benennung oder Darstellung ein und derselben Information ruft verschiedene Emotionen vor. So kaufen wir wahrscheinlich eher ein Produkt, das mit „90% fettfrei“ gekennzeichnet ist, als mit „enthält 10% Fett“.
Auswirkungen auf deine Finanzentscheidungen
- Mitteilungen wirken glaubwürdiger und intelligenter auf uns, wenn sie einfach und einprägsam formuliert sind.
- Leicht auszusprechende Wörter rufen eine wohlwollende Einstellung hervor, so werden Unternehmen mit einem unkomplizierten Namen in den ersten Tagen nach dem Börsengang höher bewertet als Unternehmen mit schwierigen (Effekt verschwindet aber mit der Zeit).
Gesetz der kleinen Zahlen
Wir tendieren dazu Analysen von kleinen Stichproben oder nur wenigen Daten als wichtiger zu bewerten als sie eigentlich sind. So locken (Wirtschafts-)berichte mit „neuen“ Erkenntnissen zu Anlage X.
Ein Blick in die zugrundeliegende Datenbasis der Analyse ist dann aber häufig ernüchternd. Auch hieraus entstehen voreilige Schlussfolgerungen ohne Prüfung der Zuverlässigkeit der Daten.
Aufgrund von System 1 nehmen wir die Welt einfacher oder zusammenhängender wahr, als sie eigentlich ist.
Auswirkungen auf deine Finanzentscheidungen
- Dein Finanzberater schwärmt über langfristig steigende Immobilienpreise in deiner Stadt oder du stößt auf einen Wirtschaftsbericht über überdurchschnittlich hohe Renditen für eine ganz neue Anlageklasse? Frage dich: Auf welche Daten stützen sich diese Aussagen? Wie viele Immobilien wurden z.B. analysiert? Über welchen Anlagezeitraum wird gesprochen?
- Viele Entwicklungen sind nur Zufälle und für Zufälle gibt es keine kausalen Erklärungen.
Regression zum Mittelwert
Die „Regression zur Mitte“ beschreibt das statistische Phänomen, dass sich nach einem extremen Wert einer Messung die nachfolgenden Werte tendenziell wieder zum Durchschnitt bewegen.
Was zunächst etwas „trocken“ klingt, hat spannende Implikationen für deine Anlageentscheidungen:
Auswirkungen auf deine Finanzentscheidungen
- Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung der Rendite von Kapitalanlagen: Der Regressionseffekt führt dazu, dass sich die Bruttorendite deines Wertpapierdepots langfristig gesehen zum Marktdurchschnitt bewegen wird. Verhält sich dein Portfolio überdurchschnittlich oder unterdurchschnittlich, wird es sich über einen längeren Zeitraum (z.B. bei einem Anlagehorizont von mehr als 10 Jahren) wieder dem Durchschnitt der jeweiligen Anlageklasse oder des Portfolios nähern. Vermeide daher übereilte Verkaufsentscheidungen und verfolge einen konsequenten Buy-and-Hold-Ansatz.
- Auswirkungen auf die Bewertung von Unternehmen: In seinem Buch stellt Kahneman eine Studie vor, in der über einen Zeitraum von 20 Jahren die Firmen mit den schlechtesten Bewertungen zu Beginn – im weiteren Verlauf – höhere Renditen als die anfänglichen Spitzenreiter erzielten. Das liegt aber nicht daran, dass die erfolgreichen Unternehmen zu selbstzufrieden wurden und sich die Schlusslichter mehr anstrengten. Die anfängliche Kluft war lediglich ein Zufall, der sich über die Jahre wieder ausgeglichen hat.
Weitere Heuristiken, kognitive Verzerrungen und Muster der Selbstüberschätzung, die unsere Entscheidungen beeinflussen
In Teil II von „Schnelles Denken, langsames Denken“ beleuchtet Kahneman noch zahlreiche weitere Muster, die unsere Entscheidungen und Urteile beeinflussen. Diese werden von dem Bedürfnis angetrieben, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit praktikable Lösungen oder wahrscheinliche Aussagen zu treffen.
Heuristiken und Verzerrungen | Auswirkungen auf deine (Finanz-)Entscheidungen und Lösungen |
Ankereffekt | ! Um zu verhindern, dass Zahlen, die dir genannt werden, zu einem Ankereffekt führen, mobilisiere aktiv dein System 2. ! Kontere unverschämte Angebote, z.B. bezüglich deines Gehalts, nicht mit einem unverschämten Angebot. Stattdessen ist es besser die Verhandlung abzubrechen oder Argumente zu finden, die sich direkt gegen den Anker wenden |
Verfügbarkeitsfehler | ! Anstatt Geschichten über erfolgreiche Finanzanlagen auf Basis einer Erfolgsstory zu glauben, solltest du versuchen, herauszufinden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass auch du einen solchen Erfolg erzielen kannst. Beispiel: Auch wenn es so aussieht, als ob eine neu gegründete Firma, in die du investieren willst, nicht pleite gehen kann, solltest du die wirtschaftliche Entwicklung und die Erfolgsraten der gesamten Branche betrachten. |
Kompetenzillusion | ! Niemand ist intelligenter als der Markt. Finanzmärkte sind nicht vorhersehbar, daher haben auch sogenannte „Finanzexpert*innen“ begrenztes Wissen über die zukünftige Entwicklung von Finanzanlagen. Die Aussage, man habe bei einer unvorhersehbaren Situation die richtige Intuition gehabt, ist daher Selbstbetrug. |
„Versunkene-Kosten-Effekt“ | ! Jeder tätigt einmal eine „schlechte“ Investition – ob nun auf Arbeit im Rahmen eines Projektes oder in eine gehypte Crypto-Währung. Richtig „teuer” wird es dann aber meist, wenn wir nicht zugegeben wollen, dass wir falsch lagen. |
Daniel Kahnemans und Amos Tverskys Neue Erwartungstheorie (Prospect-Theorie) – Lehren für deine finanziellen Entscheidungen
In seinem Buch „Schnelles Denken, langes Denken“ stellt Kahneman die (gemeinsam mit Amos Tversky entwickelte ) Neue Erwartungstheorie vor. Die psychologische Theorie geht davon aus, dass für uns Menschen vor allem das Vermeiden von Verlusten und nicht das Gewinnen ursächlich für unser Handeln ist.
So führen drei kognitive Merkmale dazu, dass wir Verluste stärker gewichten als Gewinne. Sie spielen eine wesentliche Rolle bei der subjektiven Bewertung unserer finanziellen Ergebnisse:
- Neutraler Referenzpunkt: Wir beurteilen unsere finanziellen Erfolge (z.B. bei Investitionen oder Gehaltsverhandlungen) immer in Bezug auf einen Referenzpunkt. Dieser ist z.B. der Status Quo oder ein Ergebnis, was wir erwarten (z.B. eine Prämie, die auch die Kolleg*innen erhalten haben).
- Prinzip abnehmender Empfindlichkeit: Wir bewerten die subjektive Differenz zwischen 900 und 1000 Euro oft als geringer als die Differenz zwischen 100 und 200 Euro.
- Verlustaversion: Direkt miteinander verglichen oder gegeneinander gewichtet, nehmen wir Verluste stärker (negativ) wahr als Gewinne (positiv).
Diese kognitiven Merkmale rufen unter anderem auch den Besitztumseffekt, auch Endowment-Effekt genannt, hervor. Demnach tendieren Menschen dazu, etwas wertvoller einzuschätzen, wenn sie es besitzen. Kahneman beschreibt dieses Phänomen exemplarisch am Beispiel des Immobilienbesitzers. Dessen Referenzpunkt ist der Kaufpreis der Immobilie. Studien zeigen, dass Eigentümer, die einen hohen Referenzpunkt haben und damit höhere Verluste riskieren, ihrer Anlage einen höheren Wert zuschreiben. Sie versuchen daher auch länger, ihre Immobilie zu verkaufen. Meist auch mit Erfolg und einem höheren Verkaufsgewinn.
Aufgrund der Verlustaversion ist unsere Abneigung gegen das Nichterreichen eines Ziels viel stärker als das Verlangen, es zu übertreffen (Link-Tipp: So erreichst du deine Sparziele). Die Konsequenzen für deine Finanzentscheidungen:
- Wenn du besonders verlustscheu bist, öffne dein Wertpapiertdepot nicht jeden Tag. Die täglichen Kursschwankungen können dazu führen, dass du unvernünftige Entscheidungen triffst.
- Akzeptiere: Bei einigen Geschäften macht man Gewinne, bei einigen macht man Verluste. Das Gesamtergebnis deines diversifizierten Portfolios zählt.
Der Dispositionseffekt erklärt die Neigung von Anlegern, an Verliereraktien zu lang festzuhalten und Gewinneraktien zu schnell abzustoßen. Dieses Verhaltensmuster entsteht meist daraus, dass der Anleger jede Aktie einzeln bewertet und mit einem Gewinn realisieren will. Besser:
- Als rationaler Anleger solltest du einen umfassenden Überblick über deinen gesamten Wertpapierbestand haben und dein Portfolio als Ganzes (nicht die Einzelwerte) bewerten (erfahre mehr dazu in unserem Leitfaden „Investieren lernen“) .
- Als rationaler Entscheider interessiert du dich nur für die zukünftigen Auswirkungen gegenwärtiger Investments. Zurückliegende Fehler zu rechtfertigen ist nicht von Belang.
Fazit
Zugegebenermaßen, Daniel Kahnemans Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ ist keine leichte Strand- oder Bettlektüre. Der über 500 Seiten dicke Wälzer erfordert viel Aufmerksamkeit, aber belohnt den Leser mit viel Wissenswertem und zahlreichen Beispielen. Ein Leseprojekt, das sich lohnt!
Bonus
Wenn du noch mehr von Kahneman hören willst, empfehle ich dir seinen TED Talk:
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